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Orchester

Von Anfang an wurden die Kunststücke der Zambaioni-Artist*innen von Live-Musik begleitet. Waren es bei ihrem ersten Auftritt 1994 auf einer Streuobstwiese in Walddorfhäslach noch drei Musiker, die für die richtige Stimmung sorgten, kamen bald immer mehr dazu. Heute zählt das Orchester ca. 17 zirkusmusikbegeisterte Eltern und Ehrenamtliche und ist aus dem Zelt nicht mehr wegzudenken. Seit Beginn spielt die vielseitige Formation alle möglichen Genres: Swing, Pop, Rock, Ragtime, Jazz, Evergreens und natürlich burleske Zirkusmusik.

Hier spielt die Musik! 25 Jahre Zirkus Zambaioni-Orchester Tübingen

 von Rémi Denoix

Erst das Orchester macht die Illusion perfekt

"Die jugendlichen Artist*innen überraschten und unterhielten die Zuschauer*innen, also das Auge, wir als Orchester lieferten unauffällig die Atmosphäre für das Ohr dazu und rundeten damit das Zirkusgefühl ab", sagt - heute noch begeistert - Christian Kolb, der über zehn Jahre lang das Orchester leitete, dazu engagiert Posaune spielte und sich auch noch gestalterisch als Logo- und Plakatdesigner einbrachte. "Oft waren die Nummern Ko-Kreationen. Die Musik unterstützte nicht nur, sondern unterstrich die Nummer in ihrem eigenen Charakter, manchmal melancholisch, manchmal heiter, oft tänzerisch hüpfend oder schwebend." Ein Beispiel: die Tuchnummern. Kongenial ergänzten sich Kostüme, Musik und artistische Vorführung: Das eine Mal waren es Matrosen in den Segeln eines Dreimasters, Wind und Wellen waren hör- und spürbar, das andere Mal schwebten wie im Traum engelähnliche Wesen durch den Raum, und wieder in einer anderen Saison waren es Affen, die sich an Lianen durch den Urwald schwangen: "Erst das Orchester machte die Illusion perfekt." Wehmütig ist dem Universalkünstler ein wenig ums Herz, wenn er das so erzählt, und es fehlt ihm schon ein bisschen, nicht aber die damit verbundene viele Arbeit.

Schritt für Schritt Gesamtkunstwerke

Wie viel Arbeit, Abstimmungen und Proben dahinterstecken, können Außenstehende nur erahnen. "Manchmal wurde die passende Musik und instrumentale Besetzung erst im letzten Moment gefunden. Das konnte anstrengend sein, aber der Spaß und die Lust am gemeinsamen Ergebnis haben immer überwogen", sagt Christian Kolb. Er hat durch eigene Arrangements und Kompositionen und seine einfühlsame Art das Orchester und dessen Klang geprägt. "Es gehören drei Dinge zum Gesamtkunstwerk, das Schritt für Schritt immer wieder entsteht: Artist*innen, Orchester und Publikum", sagt er.

Solange die Zuschauer*innen noch vor dem Zelt Schlange stehen, gibt es ein Aufwärmen der Artist*innen. Dann wird das Zambaioni-Zirkuslied gesungen, vom Orchester begleitet. Getextet und komponiert hat es Mareike Fichtner, die jetzige künstlerische Leiterin, selbst aus dem Ensemble erwachsen. Die Artist*innen haben sich im besten Sinn gemeinsam eingestimmt, das Orchester ist warmgespielt. Jetzt kann’s losgehen. Die Live-Musik ist also nicht Selbstzweck, sondern "das gewisse Etwas", sie hat unterstützende Funktion und prägt auch die Atmosphäre während der Aufführungen mit unterschiedlichen Geräuschen. Von den Zuschauer*innen fast unbemerkt hier ein kleiner Tusch, da ein Trommelwirbel, welcher die Spannung wachsen lässt, ein Pfeifen, Zischen, Klappern, Glockenklänge.

Der "Final Countdown" ist Kult

Beim Eintritt ins Zelt begrüßt das Orchester das Publikum. Bevor die Manege freigegeben wird, zeigen die Musiker*innen im Vorprogramm bereits ihr Können. Die Zuschauer*innen sind derweil damit beschäftigt, den optimalen noch freien Platz zu finden. Das Vorspiel endet, wenn das Zelt sich schließt. Die Spannung wächst, der "Final Countdown" (von der Band "Europe") ertönt. Der Adrenalinpegel befindet sich auf dem vorläufigen Höhepunkt. Das Zeremoniell wird abgeschlossen mit einem lauthals gerufenen "ZAMBA – IONI" der Artist*innen hinter dem Vorhang. Sie fiebern auf die erste Nummer hin. Am Ende jeder Vorführung, beim großen Finale, sind der karnevaleske Rhythmus und die festive Melodie des "Moliendo Café" der Fanfare Gioccarlia, mit der alle Artist*innen nochmals gemeinsam die Manege betreten, der krönende Abschluss.

"Das wird" – von der 3-Mann-Combo zur Big Band

"Das wird", pflegte Martin Puhm zu sagen, auch wenn es sich zu Beginn der Proben für die neue Saison noch ziemlich schräg anhörte. Er war der musikalische Leiter der ersten Stunde vor 25 Jahren im April 1994. Beim ersten Elternabend, erinnert er sich, hat er überlegen müssen, was sein Beitrag zum Zirkus sein könnte. "Da ich nicht handwerklich begabt bin, Zahlen und Organisation nicht mein Ding sind, habe ich mein Interesse an der musikalischen Gestaltung bekundet." Die Erstbesetzung war eine kleine Combo: Martin Puhm an der Violine, Adrian Oswalt als Profi am Akkordeon und am Schlagzeug Niki Nießen, der Sohn von Zambaioni-Gründerin Marlis Nießen. "Beim zweiten Schwung erst kamen dann andere Eltern dazu", erinnert er sich. Bis auf 15 Musiker*innen ist das Zirkusorchester dann angewachsen. Diese Anzahl ist über mehrere Generationen Standard geworden und hat jetzt Big-Band-Charakter.

Gleich zu Beginn pilgerte er zusammen mit Gerhard Kölbel zum großen Vorbild nach Stuttgart: dem Zirkus Calibastra, einem Schulprojekt der Waldorfschule. "Der Jazz-Musiker Friedbald Rauscher machte dort die Musik. Er war so etwas wie unser Entwicklungshelfer und Komponist des ‚Endstationi Zambaioni‘-Lieds, das eine ganze Generation prägte", erzählt Martin Puhm. Weitere Profis wie der bekannte Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur Heiner Kondschak begleiteten die Anfänge. "Er war bereits Zirkusmusiker in Göttingen gewesen und hatte einen enormen Fundus und ein schier unendliches Repertoire, bei dem wir uns bedienen konnten", ist Puhm heute noch begeistert. Kondschak fungierte als Berater, Komponist und Texter. Auf sein Konto gehen ein "Zirkusmarsch", "Der kleine Zug" als Erkennungsmelodie und das Lied "Wunderbar", in dem das Zirkusleben ebenso wunderbar beschrieben wird.

"Hau den Lukas" und "Die glorreichen Sieben" – Stoff für Zoff

Albert Breuning als genialer und vielseitiger Perkussionist hat Stücke für die jeweils aktuelle Besetzung arrangiert. Da war auch mal ein großes Xylophon dabei. In der Saison 2001 hieß eine Clownsnummer "Hau den Lukas". Dafür schleppte er extra einen original gusseisernen Amboss in die Manege und hämmerte darauf die "Amboss Polka". Ein andermal wurde die Filmmusik der "Glorreichen Sieben" mit mehreren Kesselpauken für den Zirkus umgesetzt. "Das Aufgebot beanspruchte entsprechenden Raum", erinnert sich Puhm. "Das gab Zoff mit anderen, deren Platz dadurch eingeschränkt war. Beim großen Zirkus Roncalli hat Albert den ‚Zylinderhutschrammel‘ geklaut, das heißt die Noten nach Gehör aufgeschrieben und das Stück für den Zambaioni adaptiert."

Der Pianist Dieter Koller komponierte und textete 2003 das unvergessliche und heute noch in jeder Saison mindestens einmal aufgeführte "Butterbrot-Lied", eine Hymne auf die unermüdlich gestrichenen Vesperbrote zur Stärkung der Artist*innen und Musiker*innen. Er versorgte das Orchester auch in den Aufführungen mit geistreichen Getränken. Die hochprozentige Birne, Zwetschge oder Kirsche machte meist nach der Pause in den Reihen der Musiker*innen in kleinen Gläschen ihre Runde und verlieh dem Orchesterton eine gewisse Leichtig- und Heiterkeit.

Live und aus der Dose, Harfenklänge und High Tech

Live-Musik und Titel "aus der Dose", also von der Technik eingespielt, wechseln sich heute im Programm ab. Das war nicht immer so. "Es war in einer Saison vor der Klimaerwärmung", scherzt Bernd Feldkamp, "als der Frühling auf sich warten ließ." Die Zelthaut war morgens wegen der nächtlichen Minustemperaturen mit Raureif bedeckt und die Sonne machte sich rar. Bei der Generalprobe wurde deutlich: Das Orchester war in der ersten Programmhälfte quasi arbeitslos. Bei den eisigen Temperaturen waren die erkalteten Instrumente anschließend verstimmt, die Finger der Musiker*innen waren steif und die Glieder klamm. "An meiner Kanne waren fast die Ventile eingefroren", erzählt der Tubaspieler noch heute. Die Lösung wurde gefunden, indem Nummern und Begleitmusiken umgestellt wurden, damit das Orchester "warm bleiben" konnte. Seither hat sich diese Vorgehensweise bewährt.

Dass die starken Temperaturschwankungen und hohe Luftfeuchtigkeit Instrumenten und der Technik zu schaffen machen, ist klar. Eine Harfe brachte mit Arpeggien und chromatischen Läufen eine besondere Note in den Orchesterklang. Aber das Instrument war auch super empfindlich. Dadurch fiel einmal fast der Final Countdown am Anfang einer Aufführung aus, denn das Orchester und der Leiter waren es zu dieser Zeit gewohnt, das Stück mit einem eleganten Abwärtslauf der Harfe zu beginnen, die aber noch gestimmt werden musste. Empfindliche Instrumente wie Violinen wurden deshalb durch E-Geigen ersetzt, futuristisch aussehende Teile ohne Korpus, die nur noch mit viel Fantasie eine Violine erahnen lassen. Die Soundtechnik hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und ist professioneller geworden. Das zentnerschwere Mischpult mit Schiebereglern wurde inzwischen durch ein drahtloses Tablet abgelöst.

Schlammschlachten und Stromausfall – "The show must go on"

Zur Standardausrüstung der Musiker*innen gehören Gummistiefel. Warum? Bei Regenwetter wird nach kurzer Zeit der Boden im und rund um das Zirkuszelt oft ziemlich schlammig. Der eine oder andere Ausrutscher ist dann nicht musikalischer Art, sondern landet auf den Kleidern. Nach einer regnerischen Saison findet sich schon mal ein Erdklumpen im Instrumentenkoffer wieder. Das war besonders in den Anfangsjahren so, als die Musiker*innen noch auf Bierbänken direkt auf dem Zeltboden saßen. Immer wieder gab es auch Stromausfälle. Super-GAU? Nicht im Zirkus! Auf den Schock der plötzlichen Dunkelheit und die Irritation bei den Artist*innen folgte in einer Saison ein trotziges "Jetzt erst recht": Die Artist*innen führten routiniert im spärlichen Licht der Notausgangbeleuchtung weiter ihre Kunststücke auf, und das Orchester spielte im Dunkeln und ohne Verstärker auswendig und tapfer "Pata pata" von Miriam Makeba bis zum Ende der Nummer weiter, was vom Publikum mit tosendem Applaus für beide, Orchester wie Artist*innen, quittiert wurde.

Seit mehreren Jahren leitet Sherry Fichtner jetzt das Orchester, davor selbst Musikerin am Sopransaxophon und Zirkusmutter. Sie bringt ihren immensen Erfahrungs- und Notenschatz als Musiklehrerin der Waldorfschule und Leiterin der dortigen Schul-Big-Band ein. Die Proben sind konzentriert und kurzweilig. Unnachgiebig lässt Sherry die etwas schwierigeren Stellen immer wieder wiederholen, bis alle Noten sitzen, die Tempi und die Dynamik stimmen. Schon bei der intensiven Probenarbeit ist die Lust am gemeinsamen Musizieren spürbar. Spätestens wenn die erwachsenen Musiker*innen und die jugendlichen Artist*innen im kreativen Prozess zusammenfinden, überwiegt die Freude am gemeinsamen Schaffen und kommt Leichtigkeit ins Spiel, bis zur letzten Aufführung.

Rémi Denoix spielt seit 2004 Trompete im Zirkusorchester. Diesen Artikel schrieb er für die Zirkus-Chronik "Zambaioni Evolutioni" , die 2019 anlässlich des 25-jährigen Zambaioni-Jubiläums veröffentlicht wurde.

Von Anfang an wurden die Kunststücke der Zambaioni-Artist*innen von Live-Musik begleitet. Waren es bei ihrem ersten Auftritt 1994 auf einer Streuobstwiese in Walddorfhäslach noch drei Musiker, die für die richtige Stimmung sorgten, kamen bald immer mehr dazu. Heute zählt das Orchester ca. 17 zirkusmusikbegeisterte Eltern und Ehrenamtliche und ist aus dem Zelt nicht mehr wegzudenken. Seit Beginn spielt die vielseitige Formation alle möglichen Genres: Swing, Pop, Rock, Ragtime, Jazz, Evergreens und natürlich burleske Zirkusmusik.

Hier spielt die Musik! 25 Jahre Zirkus Zambaioni-Orchester Tübingen

 von Rémi Denoix

Erst das Orchester macht die Illusion perfekt

"Die jugendlichen Artist*innen überraschten und unterhielten die Zuschauer*innen, also das Auge, wir als Orchester lieferten unauffällig die Atmosphäre für das Ohr dazu und rundeten damit das Zirkusgefühl ab", sagt - heute noch begeistert - Christian Kolb, der über zehn Jahre lang das Orchester leitete, dazu engagiert Posaune spielte und sich auch noch gestalterisch als Logo- und Plakatdesigner einbrachte. "Oft waren die Nummern Ko-Kreationen. Die Musik unterstützte nicht nur, sondern unterstrich die Nummer in ihrem eigenen Charakter, manchmal melancholisch, manchmal heiter, oft tänzerisch hüpfend oder schwebend." Ein Beispiel: die Tuchnummern. Kongenial ergänzten sich Kostüme, Musik und artistische Vorführung: Das eine Mal waren es Matrosen in den Segeln eines Dreimasters, Wind und Wellen waren hör- und spürbar, das andere Mal schwebten wie im Traum engelähnliche Wesen durch den Raum, und wieder in einer anderen Saison waren es Affen, die sich an Lianen durch den Urwald schwangen: "Erst das Orchester machte die Illusion perfekt." Wehmütig ist dem Universalkünstler ein wenig ums Herz, wenn er das so erzählt, und es fehlt ihm schon ein bisschen, nicht aber die damit verbundene viele Arbeit.

Schritt für Schritt Gesamtkunstwerke

Wie viel Arbeit, Abstimmungen und Proben dahinterstecken, können Außenstehende nur erahnen. "Manchmal wurde die passende Musik und instrumentale Besetzung erst im letzten Moment gefunden. Das konnte anstrengend sein, aber der Spaß und die Lust am gemeinsamen Ergebnis haben immer überwogen", sagt Christian Kolb. Er hat durch eigene Arrangements und Kompositionen und seine einfühlsame Art das Orchester und dessen Klang geprägt. "Es gehören drei Dinge zum Gesamtkunstwerk, das Schritt für Schritt immer wieder entsteht: Artist*innen, Orchester und Publikum", sagt er.

Solange die Zuschauer*innen noch vor dem Zelt Schlange stehen, gibt es ein Aufwärmen der Artist*innen. Dann wird das Zambaioni-Zirkuslied gesungen, vom Orchester begleitet. Getextet und komponiert hat es Mareike Fichtner, die jetzige künstlerische Leiterin, selbst aus dem Ensemble erwachsen. Die Artist*innen haben sich im besten Sinn gemeinsam eingestimmt, das Orchester ist warmgespielt. Jetzt kann’s losgehen. Die Live-Musik ist also nicht Selbstzweck, sondern "das gewisse Etwas", sie hat unterstützende Funktion und prägt auch die Atmosphäre während der Aufführungen mit unterschiedlichen Geräuschen. Von den Zuschauer*innen fast unbemerkt hier ein kleiner Tusch, da ein Trommelwirbel, welcher die Spannung wachsen lässt, ein Pfeifen, Zischen, Klappern, Glockenklänge.

Der "Final Countdown" ist Kult

Beim Eintritt ins Zelt begrüßt das Orchester das Publikum. Bevor die Manege freigegeben wird, zeigen die Musiker*innen im Vorprogramm bereits ihr Können. Die Zuschauer*innen sind derweil damit beschäftigt, den optimalen noch freien Platz zu finden. Das Vorspiel endet, wenn das Zelt sich schließt. Die Spannung wächst, der "Final Countdown" (von der Band "Europe") ertönt. Der Adrenalinpegel befindet sich auf dem vorläufigen Höhepunkt. Das Zeremoniell wird abgeschlossen mit einem lauthals gerufenen "ZAMBA – IONI" der Artist*innen hinter dem Vorhang. Sie fiebern auf die erste Nummer hin. Am Ende jeder Vorführung, beim großen Finale, sind der karnevaleske Rhythmus und die festive Melodie des "Moliendo Café" der Fanfare Gioccarlia, mit der alle Artist*innen nochmals gemeinsam die Manege betreten, der krönende Abschluss.

"Das wird" – von der 3-Mann-Combo zur Big Band

"Das wird", pflegte Martin Puhm zu sagen, auch wenn es sich zu Beginn der Proben für die neue Saison noch ziemlich schräg anhörte. Er war der musikalische Leiter der ersten Stunde vor 25 Jahren im April 1994. Beim ersten Elternabend, erinnert er sich, hat er überlegen müssen, was sein Beitrag zum Zirkus sein könnte. "Da ich nicht handwerklich begabt bin, Zahlen und Organisation nicht mein Ding sind, habe ich mein Interesse an der musikalischen Gestaltung bekundet." Die Erstbesetzung war eine kleine Combo: Martin Puhm an der Violine, Adrian Oswalt als Profi am Akkordeon und am Schlagzeug Niki Nießen, der Sohn von Zambaioni-Gründerin Marlis Nießen. "Beim zweiten Schwung erst kamen dann andere Eltern dazu", erinnert er sich. Bis auf 15 Musiker*innen ist das Zirkusorchester dann angewachsen. Diese Anzahl ist über mehrere Generationen Standard geworden und hat jetzt Big-Band-Charakter.

Gleich zu Beginn pilgerte er zusammen mit Gerhard Kölbel zum großen Vorbild nach Stuttgart: dem Zirkus Calibastra, einem Schulprojekt der Waldorfschule. "Der Jazz-Musiker Friedbald Rauscher machte dort die Musik. Er war so etwas wie unser Entwicklungshelfer und Komponist des ‚Endstationi Zambaioni‘-Lieds, das eine ganze Generation prägte", erzählt Martin Puhm. Weitere Profis wie der bekannte Schauspieler, Schriftsteller und Regisseur Heiner Kondschak begleiteten die Anfänge. "Er war bereits Zirkusmusiker in Göttingen gewesen und hatte einen enormen Fundus und ein schier unendliches Repertoire, bei dem wir uns bedienen konnten", ist Puhm heute noch begeistert. Kondschak fungierte als Berater, Komponist und Texter. Auf sein Konto gehen ein "Zirkusmarsch", "Der kleine Zug" als Erkennungsmelodie und das Lied "Wunderbar", in dem das Zirkusleben ebenso wunderbar beschrieben wird.

"Hau den Lukas" und "Die glorreichen Sieben" – Stoff für Zoff

Albert Breuning als genialer und vielseitiger Perkussionist hat Stücke für die jeweils aktuelle Besetzung arrangiert. Da war auch mal ein großes Xylophon dabei. In der Saison 2001 hieß eine Clownsnummer "Hau den Lukas". Dafür schleppte er extra einen original gusseisernen Amboss in die Manege und hämmerte darauf die "Amboss Polka". Ein andermal wurde die Filmmusik der "Glorreichen Sieben" mit mehreren Kesselpauken für den Zirkus umgesetzt. "Das Aufgebot beanspruchte entsprechenden Raum", erinnert sich Puhm. "Das gab Zoff mit anderen, deren Platz dadurch eingeschränkt war. Beim großen Zirkus Roncalli hat Albert den ‚Zylinderhutschrammel‘ geklaut, das heißt die Noten nach Gehör aufgeschrieben und das Stück für den Zambaioni adaptiert."

Der Pianist Dieter Koller komponierte und textete 2003 das unvergessliche und heute noch in jeder Saison mindestens einmal aufgeführte "Butterbrot-Lied", eine Hymne auf die unermüdlich gestrichenen Vesperbrote zur Stärkung der Artist*innen und Musiker*innen. Er versorgte das Orchester auch in den Aufführungen mit geistreichen Getränken. Die hochprozentige Birne, Zwetschge oder Kirsche machte meist nach der Pause in den Reihen der Musiker*innen in kleinen Gläschen ihre Runde und verlieh dem Orchesterton eine gewisse Leichtig- und Heiterkeit.

Live und aus der Dose, Harfenklänge und High Tech

Live-Musik und Titel "aus der Dose", also von der Technik eingespielt, wechseln sich heute im Programm ab. Das war nicht immer so. "Es war in einer Saison vor der Klimaerwärmung", scherzt Bernd Feldkamp, "als der Frühling auf sich warten ließ." Die Zelthaut war morgens wegen der nächtlichen Minustemperaturen mit Raureif bedeckt und die Sonne machte sich rar. Bei der Generalprobe wurde deutlich: Das Orchester war in der ersten Programmhälfte quasi arbeitslos. Bei den eisigen Temperaturen waren die erkalteten Instrumente anschließend verstimmt, die Finger der Musiker*innen waren steif und die Glieder klamm. "An meiner Kanne waren fast die Ventile eingefroren", erzählt der Tubaspieler noch heute. Die Lösung wurde gefunden, indem Nummern und Begleitmusiken umgestellt wurden, damit das Orchester "warm bleiben" konnte. Seither hat sich diese Vorgehensweise bewährt.

Dass die starken Temperaturschwankungen und hohe Luftfeuchtigkeit Instrumenten und der Technik zu schaffen machen, ist klar. Eine Harfe brachte mit Arpeggien und chromatischen Läufen eine besondere Note in den Orchesterklang. Aber das Instrument war auch super empfindlich. Dadurch fiel einmal fast der Final Countdown am Anfang einer Aufführung aus, denn das Orchester und der Leiter waren es zu dieser Zeit gewohnt, das Stück mit einem eleganten Abwärtslauf der Harfe zu beginnen, die aber noch gestimmt werden musste. Empfindliche Instrumente wie Violinen wurden deshalb durch E-Geigen ersetzt, futuristisch aussehende Teile ohne Korpus, die nur noch mit viel Fantasie eine Violine erahnen lassen. Die Soundtechnik hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und ist professioneller geworden. Das zentnerschwere Mischpult mit Schiebereglern wurde inzwischen durch ein drahtloses Tablet abgelöst.

Schlammschlachten und Stromausfall – "The show must go on"

Zur Standardausrüstung der Musiker*innen gehören Gummistiefel. Warum? Bei Regenwetter wird nach kurzer Zeit der Boden im und rund um das Zirkuszelt oft ziemlich schlammig. Der eine oder andere Ausrutscher ist dann nicht musikalischer Art, sondern landet auf den Kleidern. Nach einer regnerischen Saison findet sich schon mal ein Erdklumpen im Instrumentenkoffer wieder. Das war besonders in den Anfangsjahren so, als die Musiker*innen noch auf Bierbänken direkt auf dem Zeltboden saßen. Immer wieder gab es auch Stromausfälle. Super-GAU? Nicht im Zirkus! Auf den Schock der plötzlichen Dunkelheit und die Irritation bei den Artist*innen folgte in einer Saison ein trotziges "Jetzt erst recht": Die Artist*innen führten routiniert im spärlichen Licht der Notausgangbeleuchtung weiter ihre Kunststücke auf, und das Orchester spielte im Dunkeln und ohne Verstärker auswendig und tapfer "Pata pata" von Miriam Makeba bis zum Ende der Nummer weiter, was vom Publikum mit tosendem Applaus für beide, Orchester wie Artist*innen, quittiert wurde.

Seit mehreren Jahren leitet Sherry Fichtner jetzt das Orchester, davor selbst Musikerin am Sopransaxophon und Zirkusmutter. Sie bringt ihren immensen Erfahrungs- und Notenschatz als Musiklehrerin der Waldorfschule und Leiterin der dortigen Schul-Big-Band ein. Die Proben sind konzentriert und kurzweilig. Unnachgiebig lässt Sherry die etwas schwierigeren Stellen immer wieder wiederholen, bis alle Noten sitzen, die Tempi und die Dynamik stimmen. Schon bei der intensiven Probenarbeit ist die Lust am gemeinsamen Musizieren spürbar. Spätestens wenn die erwachsenen Musiker*innen und die jugendlichen Artist*innen im kreativen Prozess zusammenfinden, überwiegt die Freude am gemeinsamen Schaffen und kommt Leichtigkeit ins Spiel, bis zur letzten Aufführung.

Rémi Denoix spielt seit 2004 Trompete im Zirkusorchester. Diesen Artikel schrieb er für die Zirkus-Chronik "Zambaioni Evolutioni" , die 2019 anlässlich des 25-jährigen Zambaioni-Jubiläums veröffentlicht wurde.

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Häufige Fragen (FAQ)

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